Die Zeiten, in denen der deutsche Gesetzgeber Steuergesetze ohne Beachtung europarechtlicher Vorgaben machen konnte, sind lange vorbei. Ausgelöst wurde diese Entwicklung durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). Dieser hat das deutsche Ertragsteuerrecht immer wieder auf den Prüfstand gestellt. Als rechtlicher Maßstab dienen die Beschränkungs- und Diskriminierungsverbote des EG-Vertrages. Zwischenzeit beziehen auch der Bundesfinanzhof (BFH) und deutsche Finanzgerichte (FG) diese Rechtsgrundsätze in ihre Entscheidungen mit ein. In der Folge geben wir eine kurze Übersicht über die aktuelle Rechtsprechung mit Europabezug.

Zusammenveranlagung (BFH v. 08.09.2010, I R 28/09)

Im EU-Ausland wohnende Personen können im Inland als unbeschränkt Steuerpflichtige behandelt werden, wenn sie mehr als 90% ihrer Einnahmen in Deutschland erzielen. Dies ist für diese Personengruppe regelmäßig vorteilhaft, weil sie dann wie jeder im Inland Ansässig persönliche Freibeträge, Sonderausgaben etc. gelten machen bzw. abziehen können. In diesem Fall stellt sich auch die Frage, ob im Ausland ansässige Ehepaare die Zusammenveranlagung beantragen können. Sie können dies, wenn sie ein Bescheinigung des Ansässigkeitsstaates vorlegen, aus der sich die Höhe der erklärten ausländischen Einkünfte ergibt. Nach Auffassung des BFH reicht eine Bestätigung der ausländischen Steuerbehörde, die – ohne auf amtlichen Vordruck erteilt worden zu sein – inhaltlich der Bescheinigung EU/EWR entspricht.

Stipendien einer ausländischen Institution (BFH v. 15.09.2010, X R 33/08)

Stipendien einer in der EU oder dem EWR ansässigen gemeinnützigen Institution sind auch dann steuerfrei, wenn diese Institution im Inland nicht steuerpflichtig ist. Die anders lautende Auffassung der Finanzverwaltung verwirft der BFH mit Hinweis auf die Kapitalverkehrsfreiheit.

Versicherungsbeiträge an ausländische Versicherungsträger (BFH v. 28.05.2009, VI R 27/06)

Beiträge eines inländischen Arbeitgebers an ein ausländischen Versicherungsträger sind auch dann nicht steuerbefreit, wenn der Arbeitnehmer im Inland unbeschränkt steuerpflichtig ist. Nach Auffassung des BFH setzt die Steuerbefreiung eine gesetzliche oder sozialversichungsrechtliche Verpflichtung voraus, die in diesen Fällen nicht vorliege. Die Nichtberücksichtigung verstoße nicht gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit, weil sie gleichermaßen für in- und ausländische Arbeitnehmer gelte. Und diese Regelung verstoße auch nicht gegen die Dienstleistungsfreiheit international tätiger Versorgungseinrichtungen, weil sie nicht zwischen in- und ausländischen Anbietern differenziere.

In der Praxis dürfte sich die Rechtsprechung allerdings in den meisten Fällen gegen Ausländer richten, weil gerade ausländischen Arbeitnehmer, die nach Deutschland ziehen um hier zu arbeiten, ihre ausländischen Versicherungsverträge fortführen.

Ansparabschreibung (Sächsisches FG v. 21.04.2010, 6 K 1156/09)

Eine Ansparabschreibung für die Anschaffungen einer spanischen Betriebsstätte eines deutschen Unternehmens kann nicht gebildet werden. Diese Beschränkung verstoße auch nicht gegen EU-Recht.

Gegen das Urteil ist Revision zum BFH eingelegt.

Der umgekehrt Fall dürfte anders zu beurteilen sein. Aus der Rechtsprechung des EuGH kann man ableiten, dass ein spanisches Unternehmen ohne weiteres ein Ansparabschreibung geltend machen könnte, wenn Wirtschaftsgüter für deren deutsche Betriebsstätte angeschafft würden.

Schulgeldzahlungen (FG Baden-Württemberg v. 21.07.2010, 14 K 1469/10)

Schulgeldzahlungen an eine in der Schweiz belegene Privatschule sind nicht als Sonderausgaben abziehbar, weil der Abzug nur dann zulässig ist, wenn die Privatschule in einem Mitgliedsstaat der EU oder des EWR liegt. Nach Ansicht des FG ergibt sich auch keine andere Beurteilung aus dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz.

Gegen das Urteil ist Revision zum BFH eingelegt.

Steueranrechnung und Sonderausgaben (BFH v. 09.02.2011, I R 71/10)

Der BFH hat Zweifel, ob die deutsche Vorschrift zur Anrechnung ausländischer Steuern in Übereinstimmung mit EU-Recht steht. Nach dieser Vorschrift werden privat veranlasste Aufwendungen (Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen) bei der Steueranrechnung nicht berücksichtigt, obwohl sie teilweise auch auf ausländische Einkünfte entfallen.

Der BFH hat die zu klärende Frage dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.

Eigenheimzulage (BFH v. 20.10.2010, IX R 20/09)

Einem Steuerinländer kann eine Eigenheimzulage für ein in der EU belegenes Zweitobjekt nicht gewährt werden.

Fazit

Es gibt noch diverse andere Entscheidungen, die hier aber nicht dargestellt werden sollen. Die Vielfalt der strittigen Vorschriften zeigt, dass praktisch jeder Rechtsvorschrift auf den Prüfstand gestellt werden muss, wenn ein auch noch so kleiner internationaler Bezug besteht. Außerdem schält sich im stärker heraus, dass von den Gerichten Fälle mit Bezug zur EU oder dem EWR anders beurteilt werden als solche mit Bezug zu Drittländern.