Im ersten Beitrag zu diesem Thema haben wir das umsatzsteuerliche System bei innergemeinschaftlichen Warenbewegungen unter Beteiligung zweier Unternehmen beschrieben. Gleichzeitig haben wir auch erklärt, weshalb die Finanzbehörden so penibel auf die Einhaltung formaler Vorschriften, insbesondere zum Nachweis achten. In diesem Beitrag werden wir einen Fall beschreiben, den der BFH am 11.08 2011 (V R 3/10) zu entscheiden hatte.

Der Fall war wie folgt:

Ein deutsches Unternehmen veräußerte einen PKW an ein in Spanien ansässige Unternehmen. Es lag eine Telefax-Bestellung vor. In dieser hatte der Käufer seine spanische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer angegeben. Das deutsche Unternehmen führte eine so genannte qualifizierte Abfrage beim Bundeszentralamt für Steuern durch, die die Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer und eine Übereinstimmung von Name, Ort, Postleitzahl und Straße bestätigte. Das deutsche Unternehmen rechnete in der Folge ohne Umsatzsteuer ab und wies in der Rechnung auf das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung hin.

Das Auto wurde von einem französischen Fahrer abgeholt. Dieser gab eine eidesstattliche Versicherung über dem Empfang des PKW und die Beförderung nach Spanien ab. Außerdem legte er ein schriftliche Abholvollmacht des spanischen Unternehmens vor. Das deutsche Unternehmen machte eine Kopie des Personalausweises des Fahrers und nahm diese zu ihren Akten.

Im weiteren Verlauf stellte das deutsche Finanzamt aufgrund einer Auskunft der spanischen Finanzverwaltung fest, dass das spanische Unternehmen den PKW an ein französischen Abnehmer veräußert hatte. Den Transport hatte tatsächlich der französische Abnehmer veranlasst. Daraufhin versagt das deutsche Finanzamt die Anerkennung der Steuerfreiheit für eine innergemeinschaftliche Lieferung und setzte deutsche Umsatzsteuer fest.

Womit begründete das Finanzamt diese Handhabung?

Vorab ist zu bemerken, dass der Sachverhalt keine Hinweise auf eine mögliche Umsatzsteuerhinterziehung enthält. Hierauf kam es nach Auffassung der Finanzverwaltung offensichtlich auch nicht an.

Ein wesentliches Argument war, dass es sich um ein so genanntes Reihengeschäft handelt und der letzte Abnehmer in der Reihe den PKW hatte abholen lassen. Ein Reihengeschäft liegt vor, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Liefergeschäfte abschließen und der Gegenstand vom ersten zum letzten Abnehmer in der Reihe gelangt. Der deutsche Unternehmer hatte den PKW an den spanischen Abnehmer veräußert, der diesen an seinen französischen Kunden weiterverkauft hatte. Der Gegenstand gelangte von Deutschland direkt nach Frankreich. Gleichzeitig liegt ein Abholfall vor, weil der französische Abnehmer den PKW hat abholen lassen. Die Beförderung des PKW ist damit ihm zuzurechnen.

In einem solchen Fall stellt die Lieferung der spanischen Unternehmens an seinen französischen Kunden die innergemeinschaftliche steuerfreie Lieferung dar. Konsequenterweise kann die Lieferung des deutschen an den spanischen Unternehmer keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung sein. Diese ist in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig. Das hätte folgende Konsequenzen gehabt:

  • Das deutsche Unternehmen hätte gegenüber dem spanischen Unternehmen mit deutscher Umsatzsteuer abrechnen müssen.
  • Das spanische Unternehmen hätte sich in Deutschland umsatzsteuerlich registrieren lassen müssen. Es hätte gegenüber dem französischen Abnehmer eine Rechnung ohne Umsatzsteuer unter Verwendung einer deutschen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer stellen müssen. Das spanische Unternehmen hätte in seiner deutschen Umsatzsteuervoranmeldung die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung erklären müssen. Es hätte gleichzeitig die Umsatzsteuer aus der Rechnung des deutschen Lieferanten als Vorsteuer abziehen können. Außerdem hätte das spanische Unternehmen in Deutschland eine Zusammenfassende Meldung abgeben müssen.
  • Der französische Erwerber hätte in Frankreich einen innergemeinschaftlichen Erwerb angeben müssen.

Das alles ist nicht geschehen. Damit war die Voraussetzung für das Vorliegen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung des deutschen an das spanische Unternehmen objektiv nicht gegeben. Die beteiligten Unternehmen haben auch nicht die Voraussetzung für das Vorliegen eines bei anderer Gestaltung durchaus anwendbaren innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäftes erfüllt.

Das Problem im vorliegenden Fall ist, dass das deutsche Unternehmen überhaupt nicht wusste, dass es an einem Reihengeschäft beteiligt war. Dies kommt bei dieser Art von Geschäften häufig vor, weil der mittlere Unternehmer in der Reihe – hier also das spanische Unternehmen – in der Regel kein Interesse daran hat, seinem Lieferanten seine Kunden zu offenbaren. In der Folge könnte dann ja der erste Lieferant direkt an den letzten Abnehmer liefern und der mittlere Unternehmer würde kein Geschäft mehr machen können.

Damit stellt sich die Frage, ob der deutsche Unternehmer trotz objektiv falscher Handhabung auf eine bestehende Vertrauensschutzregelung berufen durfte. Dies verneinte das Finanzamt unter anderem auch mit dem Argument, dass das deutsche Unternehmen keine Informationen über ihre Lieferung eingeholt und keine Nachforschungen darüber angestellt habe, aus welchen Gründen ein Franzose als Abholer tätig war.

Beide Argumente hat der BFH verworfen. Die Steuerfreit könne auch dann in Anspruch genommen werden, wenn der erste Abnehmer (spanisches Unternehmen) einem Beauftragten eine Vollmacht zur Abholung und Beförderung des Gegenstandes erteilt und die Kosten vom letzten Abnehmer (französisches Unternehmen) getragen werden. Allerdings wird auch deutlich, dass der deutsche Unternehmer möglicherweise nicht mit einer für ihn günstigen Entscheidung hätte rechnen können, wenn er nicht alle notwendigen Vorsorgemaßnahmen des Nachweises getroffen hätte.

Totsünden in solche Fällen könnten sein:

  • Der deutsche Unternehmer überprüft nicht die Richtigkeit einer ausländischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer durch qualifizierte Abfrage beim Bundeszentralamt für Steuern.
  • Aus den vorliegenden Unterlagen ergeben sich offensichtliche Zweifel, dass der Abnehmer auch der tatsächliche Empfänger der Lieferung ist (Strohmanngeschäfte).
  • Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich, dass das deutsche Unternehmen im Zeitpunkt der Lieferung wusste, dass das französische Unternehmen der endgültige Empfänger der Lieferung sein wird und letzterer die Ware auch abholt oder abholen lässt. In diesem Fall wird unterstellt, dass das deutsche Unternehmen vom Reihengeschäft wusste oder hätte wissen müssen.
  • Die abholende Person legt keine Vollmacht des Kunden zur Abholung und Beförderung des Gegenstandes in ein anderes EU-Mitgliedsland vor.
  • Das deutsche Unternehmen stellt nicht die Identität der abholenden Person fest und dokumentiert dies beispielsweise durch Kopie eines Personalausweises.

Versäumnisse von Unternehmen in diesem Bereich können außerordentlich teuer werden.