Für in Deutschland ansässige Privatpersonen können Bankkonten oder Wertpapierdepots im Ausland zu einer steuerlichen Zeitbombe werden. Im Erbfall besteuern viele Staaten dieses Vermögen auch dann, wenn der Erblasser vor seinem Tod nicht in ihrem Staatsgebiete ansässig war. Dies tun beispielsweise die USA, Großbritannien, Spanien und Frankreich. Dasselbe Vermögen wird auch in Deutschland besteuert, ohne dass die ausländische auf die deutsche Erbschaftsteuer angerechnet werden darf. Im Ergebnis wird der Erbfall doppelt besteuert.
Welche katastrophalen Wirkungen sich hieraus ergeben können, zeigt ein beim Finanzgericht Baden-Württemberg anhängiges Klageverfahren. Eine Großtante vererbte Kapitalvermögen, das bei einer französischen Bank gehalten wurde. Die Großnichte musste hierauf in Frankreich eine Erbschaftsteuer (Steuersatz: 55%) zahlen. Dasselbe Kapitalvermögen wurde der deutschen Erbschaftsteuer unterworfen (Steuersatz: 29%). Dabei ließ das deutsche Finanzamt die französische Erbschaftsteuer weder als Nachlassschuld zum Abzug zu noch konnte die französische auf die deutsche Steuer angerechnet werden. In der Folge hat das Finanzamt einen Teil der deutschen Erbschaftsteuer erlassen. Im Ergebnis wurde das französische Kapitalvermögen insgesamt mit einem Steuersatz von 72% besteuert!
In der Klage rügt die Großnichte sowohl die Verletzung von Europarecht (Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit) wie auch von Verfassungsrecht (Gleichheitssatz, Übermaßbesteuerung). Nach unserer Meinung sind die Erfolgsaussichten der Großnichte im Klageverfahren aber begrenzt.
Der Europäische Gerichtshof hat am 12.02.2009 in der Rechtssache Block (C – 67/08) in einem ähnlich gelagerten Fall zwischen Deutschland und Spanien die Doppelbesteuerung gebilligt. Und ob das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde stattgeben wird, darf auch bezweifelt werden. Der Gedanke, dass eine übermäßige Besteuerung – wie Kommentatoren behaupten – gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt, ist ein attraktiver Gedanke. Ob man in diesen Fall allerdings wirklich vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein positives Urteil erwirken kann, scheint zumindest zweifelhaft.
In der Regel kann man heute nur einen Rat gegen. Privatpersonen mit größerem Kapitalvermögen, das bei ausländischen Banken angelegt ist, sollten prüfen lassen, wie groß die Gefahr einer vermögensvernichtenden Doppelbesteuerung ist.
„In der Folge hat das Finanzamt einen Teil der deutschen Erbschaftsteuer erlassen.“ Insgesamt 72% Steuern minus Frankreich 55%. Das bedeutet, dass das deutsche Finanzamt seine Forderung von 29% auf 17% gesenkt hat. Immerhin. Aber mich beschleicht das Gefühl, dass auch dieser Nachlass eher mit hoheitlicher Herablassung festgelegt wurde und keine betriebswirtschaftliche Grundlage hat.
Die Rechtssache Block wird in Zukunft vielleicht anders zu beurteilen sein. Der EuGH hat die klassische Doppelbesteuerung ja damit begründet, dass die Mitgliedsstaaten beim momentanen Stand des europäischen Gemeinschaftsrechts nicht gezwungen sind, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden.
Das scheint die EU-Kommission anders zu sehen: Die Kommission sieht Probleme bei der Erbschaftsteuer in grenzüberschreitenden Fällen. Es gibt jetzt ein Paket:
– Mitteilung (KOM/2011/864)
– Empfehlung (C/2011/8819)
– Arbeitsdokument
Die Kommission analysiert die Probleme und schlägt Lösungsmöglichkeiten vor. Solche Vorstöße wird es dem EuGH in Zukunft erschweren, den Mitgliedsstaaten so schlankweg eine Freifahrtschein für die Beibehaltung offensichtlich europarechtlich bedenklicher Regelungen auszustellen.
Nunmehr scheint auch die Finanzverwaltung ein Einsehen zu haben, dass § 21 ErbStG einfach zu kurz greift.
Das FG Köln hat mit rechtskräftigem Urteil vom 29.06.2011 entschieden, dass sich die Bestimmung des § 21 Abs. 1 Satz 4 ErbStG über dem Wortlauf hinaus auch auf Fälle erstreckt, in denen zuerst die deutsche Erbschaft- oder Schenkungsteuer und sodann erst die vergleichbare ausländische Steuer entsteht.
Normalerweise setzt die Finanzverwaltung – wenn überhaupt – nur die Rechtsprechung des BFH in Verwaltungsanweisungen um. In diesem Fall hat das Bayerische Landesamt für Steuern aber die Anwendbarkeit des FG-Urteils verfügt. Es führt dann sogar aus, dass das FG-Urteil dem Sinn und Zweck der Vorschrift entspricht.
Es gibt noch Wunder.