In Bezug auf die weitgehend in der EU harmonisierte Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer) ist der Europäische Gerichtshof höchste Gerichtsinstanz. Der EuGH orientiert seine Rechtsprechung ausschließlich an der Funktionsweise des Mehrwertsteuersystems in der EU sowie den EU-Richtlinien. Das führt dazu, dass das deutsche Umsatzsteuergesetz und dessen Auslegung durch die Finanzbehörden häufiger in Konflikt zur Rechtsprechung des EuGH geraten. Letztendlich entscheidend ist aber immer die EuGH-Rechtssprechung. Ein Rechtsanwalt formulierte dies kürzlich zutreffend wie folgt: Über dem EuGH ist nur noch der blaue Himmel. Auf jeden Fall müssen Unternehmen und ihre Berater immer im Blick haben, welche Rechtsfragen streitig sind.

Momentan sind ungefährt 50 Verfahren zur Mehrwertsteuer beim EuGH anhängig. In der Folge stellen wir exemplarisch einige Verfahren kurz dar:

  • Die Rechtssache C-44/11 – Deutsche Bank AG betrifft Finanzdienstleister und Banken. Es geht um die Frage, ob die Vermögensverwaltung von Wertpapieren (Portfolioverwaltung) für Privatkunden steuerfrei ist oder nicht. Die deutsche Finanzverwaltung verneint die Steuerfreiheit.
  • Eine für Unternehmer mit Auslandsniederlassungen sehr bedeutsame Frage ist, wann ein Unternehmer ein im Ausland ansässiger Steuerpflichtiger ist (Rs. C-421/10 Stoppelkamp). Strittig ist, ob hierfür der Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit im Ausland ausreicht oder ob als weitere Voraussetzung hinzukommen muss, dass er seinen privaten Wohnsitz nicht im Inland hat. Die praktischen Auswirkungen dieses Urteils werden auf grenzüberschreitende Strukturen erhebliche Auswirkungen haben. Dabei geht es um Fragen wie:
    • In welchen Staat bin ich umsatzsteuerpflichtig?
    • Welche steuerlichen Pflichten muss ich in welchem Land erfüllen?
    • Kommt das Reverse Charge-Verfahren zur Anwendung?
  • Eine möglicherweise für den Fiskus teuer werden Rechtsfrage kommt aus Großbritannien und wurde vom High Court of Justice vorgelegt (Rs. C-591/10, Littlewoods Retail). Dabei geht es um die Frage, ob für Rückforderungsansprüche des Steuerpflichtigen aus zu Unrecht erhobener Umsatzsteuer nicht nur Zinsen, sondern auch Zinseszinsen durch den Fiskus zu zahlen sind.
  • Eine Rechtssache aus Finnland (Rs. C-33/11) beschäftigt sich mit der Frage, wie weit die Steuerbefreiung von Vorumsätzen für die Luftfahrt reicht. Es wird darum gehen, ob die Lieferung von Flugzeugen steuerfrei erfolgen kann oder nicht. Übrigens wird das Urteil natürlich auch die gewerbliche Seeschifffahrt betreffen, weil die Steuerbefreiungen für Luft- und Schifffahrt sehr ähnlichen Kriterien folgt.
  • Ein Dauerbrenner ist die Rechtssache Baumarkt (Rs. C-511/10). Dabei geht es um die Frage, wie die Vorsteuern aufzuteilen sind, wenn ein Gebäude teilweise steuerfrei und teilweise steuerpflichtig vermietet wird. Zu entscheiden ist, ob die Aufteilung nach Gebäudeflächen (Flächenschlüssel) oder nach den jeweils erzielten Mieten (Umsatzschlüssel) vorzunehmen ist.

Über die weitere Entwicklung werden wir berichten.