Die deutsche Regelung zur umsatzsteuerlichen Organschaft reicht bis in die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Nach dieser Vorschrift werden verschiedene Unternehmen in einer Umsatzteuergruppe zusammengefasst, wenn eine juristische Person finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Im Ergebnis werden die Unternehmen des Organkreises so behandelt, als wären sie ein Unternehmen. Das bedeutet, dass Leistungsbeziehungen zwischen diesen Gesellschaften umsatzsteuerlich wie Innenumsätze behandelt werden. Diese Innenumsätze führen dazu, dass sie umsatzsteuerlich zu keinen Wirkungen führen. Genauso wie Umsätze zwischen einzelnen Betriebsabteilungen eines Unternehmens sind diese umsatzsteuerlich unbeachtlich.

Die deutsche Regelung besitzt hinsichtlich Anwendbarkeit einige Einschränkungen, die durch eine restriktive Auslegung der deutschen Finanzverwaltung noch weiter verengt wird. Hierbei handelt es sich um folgende Einschränkungen:

  • Nichtunternehmer dürfen nicht mit in den Organkreis einbezogen werden. Hierbei handelt es sich nicht nur um Privatpersonen sondern beispielsweise auch um Holdinggesellschaften, die Beteiligungen halten und keine weiteren Aktivitäten entfalten oder gewisse Organisationen und Kommunen ohne gewerbliche Betätigung.
  • Personengesellschaften können nach der deutschen Regelung keine (untergeordnete) Organgesellschaft sein, selbst wenn sie alle anderen Voraussetzungen erfüllen.
  • Außerdem muss ein Unter- und Überordnungsverhältnis bestehen. Gleichgeordnete Schwestergesellschaften können für sich selbst keine Organschaft bilden.

Die deutsche Regelung beruht in seiner heutigen Form auf europäischen Mehrwertsteuerrecht (Art. 11 MWStSystRL). Und dort ist geregelt, dass eine umsatzsteuerliche Unternehmensgruppe immer dann vorliegt, wenn Personen durch gegenseitige Beziehungen eng miteinander verbunden sind. Weitere Voraussetzungen sind nicht genannt. Insbesondere die oben genannten Einschränkungen sind der Richtlinie nicht zu entnehmen.

Nunmehr hat der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 09.04.2013- C85/11) in einem das irische Umsatzsteuerrecht betreffenden Fall entschieden, dass die Einbeziehung von Nichtunternehmern in eine Mehrwertsteuergruppe nicht nur zulässig, sondern sogar geboten ist. Die in der Regelung in der MWStSystRL genannten Voraussetzungen sind abschließend. Demnach müssen Personen finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch verbunden sein. Weitere Voraussetzungen sind nicht genannt und dürfen nach der Entscheidung des EuGH von den Mitgliedsstaaten nicht als ergänzende Voraussetzungen eingeführt werden. Das bedeutet, dass die oben genannten Einschränkungen der deutschen Organschaftsregelung europarechtswidrig sind.

Das hat erhebliche Auswirkungen:

  • Beziehen Holdinggesellschaften, die umsatzsteuerlich keine Unternehmer darstellen, von anderen Konzernunternehmen (Tochter- oder Schwestergesellschaften) Leistungen, musste diese bisher grundsätzlich mit Umsatzsteuer abgerechnet werden. Die Holdinggesellschaften konnten diese Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abziehen. Das bedeutete, dass die Umsatzsteuer auf konzerninterne Leistungen in solchen Fällen zu einer Definitivbelastung führte. Von nun an werden bei Vorliegen einer Mehrwertsteuergruppe diese Leistungen als Innenumsätze ohne Umsatzsteuer abzurechnen sein. Die Umsatzsteuerbelastung auf die Leistungen entfällt.
  • Interessant sind auch Leistungen von gewerblich tätigen Unternehmen an solche, die ausschließlich steuerfreie Leistungen ausführen. Dies könnten beispielsweise Managementgesellschaften oder Wäschereien in einem Krankenhauskonzern sein. Bisher musste eine solche Gesellschaft immer eine Kapitalgesellschaft sein, die finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Krankenhausunternehmen eingegliedert war, um eine Organschaft zu begründen. Nach der neuen Rechtsprechung können auch Schwestergesellschaften in der Rechtsform einer Personengesellschaft ihre Leistungen an Krankenhäuser ohne Umsatzsteuer erbringen, wenn die Voraussetzungen einer Mehrwertsteuergruppe vorliegen. Die bisher beim Krankenhaus anfallende und nicht abziehbare Vorsteuer wird vermieden.
  • Gleiches gilt auch für gewerblich tätige Gesellschaften von Kommunen oder anderen öffentlich-rechtlichen Trägern. Nach Auffassung der Finanzverwaltung waren an den nichtunternehmerischen Bereich Kommune nicht von der Organschaftsregel erfasst. Die durch die Gesellschaft in Rechnung gestellte Umsatzsteuer war nicht als Vorsteuer abziehbar. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss diese Rechtsauffassung als überholt gelten. Die Gesellschaft kann bei Vorliegen einer Mehrwertsteuergruppe immer ohne Umsatzsteuer abrechnen. Diese führt bei der Kommune zu keiner zusätzlichen Belastung mehr.
  • Allerdings werden jetzt auch Unternehmen in die Organschaft einzubeziehen sein, die bisher nicht Organgesellschaft sein konnten (Personengesellschaften). Sofern dies von den Unternehmen nicht gewünscht ist, brauchen sie die durch den EuGH aufgestellten Grundsätze aber nicht anzuwenden. Solange Deutschland seine Organschaftsregelung nicht ändert, können sich Unternehmen immer auf die für sie günstigere Regelung berufen.