Seit Jahren ist die Frage umstritten, ob Steuerfälle mit mit Drittstaatenbezug durch die Kapitalverkehrsfreiheit erfasst sind. Und wenn man diese Frage bejaht, stellt sich sofort die Folgefrage, wie weitgehend die Schutzwirkung der Kapitalverkehrsfreiheit in solchen Fällen reicht. Der EuGH hat diese Fragen in der Rechtssache C-31/11 aber juristisch-elegant umschifft.
Der Fall stellt sich wie folgt dar:
Ein in Deutschland Ansässiger hatte eine 100%-ige Beteiligung an einer kanadischen Gesellschaft geerbt. Da die Gesellschaft weder Sitz noch Geschäftsleitung im Inland hatte, erhielt der Erbe weder den damals geltenden Freibetrag von € 225.000 noch den Bewertungsabschlag. Der Fall gelangte bis vor den BFH, der dem EuGH die Frage vorlegte, ob die deutschen Regeln mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar sei.
Damit erwarteten alle Interessierten nun eine Antwort auf die alles entscheidene Frage:
Schützt die Kapitalverkehrsfreiheit einen Unionsbürger mit Vermögen in einem Drittstaat?
Aber der EuGH umgeht die Beantwortung der Frage geschickt. Betroffen sei überhaupt nicht die Kapitalverkehrsfreiheit, sondern die Niederlassungsfreiheit. Und diese gelte nur bei Sachverhalten in der EU. Drittstaatenfälle würden durch die Niederlassungsfreiheit nicht geschützt. Und wenn die Niederlassungsfreiheit betroffen sei, verdränge diese die Kapitalverkehrsfreiheit. Da die Niederlassungsfreiheit betroffen sei, könne die Kapitalverkehrsfreiheit nicht zur Anwendung kommen. Also könne Deutschland die Anwendung von Freibetrag und Bewertungsabschlag in Drittlandsfällen versagen.
Touché: Elegant aus der Affäre gezogen. Durch den juristischen Trick mit dem Vorrang der Niederlassungsfreiheit vor der Kapitalverkehrsfreiheit lässt sich in solchen Fällen die entscheidene Frage umgehen. Gilt die Kapitalverkehrsfreiheit nun weltweit oder nicht? Wir können dem Gerichtshof aber garantieren, dass er in nächster Zukunkt die Entscheidung dann endgültig treffen darf. Das Finanzgericht Düsseldorf hat eine Frage vorgelegt, die nach menschlichem Ermessen nur die Kapitalverkehrsfreiheit betreffen kann. Und im vorliegenden Fall sind Kläger in der Schweiz Ansässige. Man darf gespannt sein.
Für die Spezialisten: Das Urteil birgt doch einige Neuerungen:
- Nach der Rechtssprechung des EuGH ist die Niederlassungsfreiheit immer dann betroffen, wenn ein Gesellschafter über seine Beteiligung einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft ausüben und deren Tätigkeiten bestimmen kann. In den bisherigen Fällen lagen die Beteiligungsquoten immer über 50%. Nach § 13a ErbStG alte Fassung wird aber nur eine Quote von mehr als 25% für seine Anwendung gefordert. Reicht also schon die Sperrminorität für einen sicheren Einfluss auf Entscheidungen und Tätigkeiten?
- Oder war im vorliegenden Fall entscheidend, dass der deutsche Gesellschafter mit 100% auf jeden Fall einen sicheren Einfluss würde ausüben können?
Man fragt sich, welchen Grund es denn hat, dass die Verfasser der EG-Vertrages der Kapitalverkehrsfreiheit eine grundsätzlich weltweite Wirkung zugesprochen haben. Alle anderen Grundfreiheiten sind auf die EU beschränkt.
Die Frage ist umso bedeutsamer, als Drittstaaten wie beispielweise die USA, China oder Russland im umgekehrten Fall europäischen Unternehmen oder privaten Investoren nicht die gleichen Rechte einräumen. Gegenseitigkeit ist also nicht gegeben.
Weshalb haben die EU-Verantwortlichen dennoch die weltweite Geltung der Kapitalverkehrsfreiheit in den Vertrag geschrieben. Sie wissen einfach, wie wichtig der freie Verkehr des Kapitals insbesondere für die wirtschaftliche Entwicklung ist. Man möchte doch ausländische Investoren nicht daran hindern, Kapital nach Europa zu tragen. Und es macht auch keinen Sinn, europäische Unternehmen bei Drittlandinvestitionen zu behindern.
Aber im Steuerrecht gelten eben andere Gesetze. Da tut es den Finanzministern eben weh, wenn sie Investoren aus dem Drittland genauso behandeln müssen, wie diejenigen aus dem eigenen Land oder der übrigen EU. Das kostet vordergründig Geld. Aber lohnt es sich zu guter letzt nicht doch. Ohne den Kapitalimport würden die Steuerquellen doch sehr viel weniger sprudeln. Aber Finanzminister und ihre Bürokratie denken eben selten in volkswirtschaftlichen Dimensionen.