Der Zinssatz in Höhe von 0,5% pro Monat, der gemäß § 238 Absatz 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) für die Verzinsung von Steuernachforderungen bzw. Steuererstattungen gemäß § 233a AO heranzuziehen ist, steht im Angesicht eines seit Jahren deutlich niedrigeren Basiszinssatzes seit längerem in der Kritik. In Folge dessen waren seit Jahren zahlreiche Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Zinsen beim BFH bzw. bei Finanzgerichten anhängig. Nun hat das Bundesverfassungsgericht am 8. Juli 2021 sein Urteil zu der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe bekannt gegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen sowie -erstattungen gemäß § 233a in Verbindung mit § 238 Absatz 1 Satz 1 AO ab dem 1. Januar 2014 verfassungswidrig ist.

Hintergrund der Verzinsung von Steuererstattungen oder Steuernachzahlungen ist, dass der Liquiditätsvorteil, der dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus durch verspätete Zahlung der Erstattung oder der Nachzahlung entsteht, bereinigt werden soll. Der Zinslauf beginnt gemäß § 233a Absatz 2 AO 15 Monate nach Entstehen der Steuer. Die Steuer entsteht im Regelfall mit Ablauf des Kalenderjahres, für das diese anfällt. So begann für die Einkommensteuer 2017 bspw. der Zinslauf am 1. April 2019. Der Zinslauf endet gemäß § 233a Absatz 2 Satz 2 AO mit dem Tag, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird. Dieses ist an den Tag, an welchem dem Steuerpflichtigen der Steuerbescheid bekannt gegeben wird. Für diesen Zeitraum ist der Betrag der Steuernachforderung oder -erstattung mit monatlich 0,5 % zu verzinsen. Ob der Steuerpflichtige oder die Behörde für das Verschulden der späten Steuerfestsetzung verantwortlich ist, ist für die Verzinsung unerheblich.

Wie oben bereits beschrieben, hat das Bundesverfassungsgericht die Verzinsung gemäß § 233a in Verbindung mit § 238 Absatz 1 Satz 1 AO für alle Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 in seinem Urteil für verfassungswidrig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich dabei auf folgende Sachverhalte.

Zum einen war die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nach Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) zu prüfen. Die Verzinsung führte schließlich dazu, dass Steuerpflichtige, deren Steuer innerhalb der Karenzzeit festgesetzt wurde, Steuerpflichtigen, deren Steuer nach der Karenzzeit festgesetzt wurde, gegenüber im Vorteil waren. Jedoch verbietet Artikel 3 des GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Im Einzelfall ist abzuwägen, ob Ziel und Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dem Bundesverfassungsgericht nach genügen die hier anzuwendenden Vorschriften jedoch den Rechtfertigungsanforderungen der Ungleichbehandlung, sodass die Verfassungsmäßigkeit hierdurch noch nicht verletzt wird.

Zum anderen jedoch hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf die Höhe der Zinsen geprüft. Der Zinssatz in Höhe von 0,5 % pro Monat war im Jahr der Verabschiedung des Steuerreformgesetzes 1990 festgelegt worden. Im Jahre 1990 entsprach der Zinssatz in Höhe von 6 % jährlich noch einem maßstabstabsrelevanten Verhältnis am Geld- und Kapitalmarkt. Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 hat sich hingegen ein strukturelles Niedrigzinsniveau entwickelt. Angesichts des niedrigen Basiszinssatzes handelt es sich, dem Bundesverfassungsreicht nach, spätestens seit 2014 dabei um eine strukturelle und nachhaltige Entwicklung. Aufgrund dessen bezeichnet das Bundesverfassungsgericht den Zinssatz in Höhe von 6 % ab 2014 nun als evident realitätsfern.

Im Ergebnis bedeutet dies nun, dass die Verzinsung von Steuernachzahlungen sowie -erstattungen ab dem 1. Januar 2014 vom Bundesverfassungsgericht als mit dem Grundgesetz als unvereinbar erklärt worden ist. Für den Verzinsungszeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2018, so hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, besteht die Vorschrift jedoch fort. Der Gesetzgeber ist für diesen Zeitraum nicht verpflichtet, rückwirkend eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Für Verzinsungszeiträume ab 2019 jedoch ist der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine Neuregelung zu treffen, welche sich rückwirkend auf alle Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 auswirkt.