Die Internationalisierung des Wirtschaftslebens führt auch dazu, dass Unternehmer aller Größenordnungen mit ausländischen Steuer- und Zollbehörden in Berührung kommen. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass berechtigt oder auch unberechtigt Steuern oder Zollabgaben gefordert werden. Sofern inländische Unternehmen diese dann nicht zahlen, können Vollstreckungstitel der ausländischen Behörden in die Welt kommen. Und diese können in Deutschland aufgrund der so genannten Beitreibungsrichtlinie (RL 76/308/EWG) auch vollstreckt werden. Die Vollstreckung erfolgt dann durch die jeweils zuständige deutsche Finanz- oder Zollbehörde.
Mit einem solchen Fall hatte sich der Bundesfinanzhof vor kurzem zu befassen (BFH vom 03.11.2010, VII R 21/10). Folgendes war passiert:
Ein deutsches Speditionsunternehmen hatte von einem italienischen Zollamt eine Zahlungsaufforderung erhalten. Die Zahlungsaufforderung war in italienischer Sprache; eine Übersetzung war nicht beigefügt. Hierauf hatte das Unternehmen verspätet Einspruch bei der italienischen Steuerbehörde eingelegt. Diese wurde wegen der Überschreitung der gesetzlichen Frist von 15 Tagen zurückgewiesen. Auch Klagen vor italienischen Gerichten hatten keinen Erfolg. Das italienische Oberlandesgericht wies die Revision mit der Begründung zurück, dass die Frist versäumt worden sei und insoweit keine Anfechtungsmöglichkeit nach italienischem Recht bestehe. Die italienischen Zollbehörden erbaten vom zuständigen deutschen Hauptzollamt Amtshilfe im Zusammenhang mit der Beitreibung der Zollschuld. Das deutsche Hauptzollamt leitete Vollstreckungsmaßnahmen gegen das deutsche Unternehmen ein und beabsichtigte, in die bei den Zollbehörden hinterlegte Bürgschaftsurkunde zu vollstrecken. Hiergegen klagte das deutsche Unternehmen. Nachdem das deutsche Finanzgericht die Klage abgewiesen hatte, wurde Revision zum BFH eingelegt.
Um die Entscheidung des BFH zu verstehen, muss man folgendes vorausschicken. Grundsätzlich liegt es nicht im Ermessen der um Amtshilfe gebetenen Behörde (hier deutsches Hauptzollamt), die Entscheidung der ersuchenden Behörde (hier italienisches Zollamt) oder die Wirksamkeit der Vollstreckbarkeit eines Titels in Frage zu stellen. Das deutsche Unternehmen muss sich also im ersuchenden Mitgliedsstaat (hier Italien) gegen Vollstreckungstitel zur Wehr setzen. Im Ergebnis heißt dies folgendes:
- Selbst wenn die Forderung unberechtigt oder der Vollstreckungstitel gesetzeswidrig wäre, könnte sich das deutsche Unternehmen hiergegen vor deutschen Gerichten nicht wehren.
- Alle rechtlich notwendigen Abwehrmassnahmen müssen im Ausland ergriffen werden.
- Die Tatsache, dass die Zahlungsaufforderung in italienischer Sprache erfolgte, ist für diese Beurteilung unerheblich. Das Unternehmen muss ausländische Dokumente zeitnah übersetzen lassen.
Dieser Grundsatz gilt aber nicht ausnahmslos. Danach hätte das deutsche Hauptzollamt die Unterstützung versagen oder von Bedingungen abhängig machen können, wenn der Vollstreckungstitel die öffentliche Ordnung (ordre public) in Deutschland beeinträchtige. Das ist immer dann der Fall, wenn im Vollstreckungsstaat eine offensichtliche Verletzung einer als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines als grundlegend anerkannten Rechtes vorliegt. Und genau diese Möglichkeit sah der BFH in vorliegenden Fall als denkbar an und führte folgendes aus:
Ein solcher Verstoß liegt vor, wenn ein Mitgliedsstaat einem in Deutschland ansässigen Abgabenpflichtigen eine in ausländischer Sprache abgefasste Zahlungsaufforderung zustellen lässt, der mangels Rechtsbehelfsbelehrung nicht entnommen werden kann, dass die Rechtsbehelfsfrist lediglich 15 Tage beträgt und eine Art Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entweder im ausländischen Recht nicht vorgesehen oder trotz Geltendmachung von Gründen, welche die Fristversäumnis entschuldigen können, nicht geprüft worden ist.
Der BFH vergleicht verdeckt die italienische Rechtslage mit der vergleichbaren in Deutschland. Erstens sind Rechtsbehelfsfristen hier länger (in der Regel ein Monat), zweitens verlängert sich die Frist bei Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung in der Regel auf ein Jahr und drittens eröffnet das deutsche Recht immer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn die Frist ohne Verschulden versäumt wurde. Damit sah der BFH grundlegende Rechtsgrundsätze Deutschlands als verletzt an.
Allerdings sollten deutsche Unternehmen dies nicht als Freifahrtschein betrachten. Sofern das deutsche Unternehmen nicht alles Zumutbare getan hat, um die Vollstreckung abzuwenden, dürfte es vor deutschen Gerichten wenig Erfolgsaussichten mit Klagen haben:
- Ignoriert das deutsche Unternehmen sämtliche Zahlunsgaufforderungen aus dem Ausland, handelt es sicherlich fahrlässig. Je kürzer die gesetzte Zahlungsfrist ist und je weniger Fristüberschreitung gegeben ist, umso besser dürften Erfolgsaussichten sein. Gerade von einem im internationalen Umfeld arbeitenden Unternehmen kann erwartet werden, dass es Schriftstücke ausländischer Behörden zeitnah übersetzen lässt. Unterlässt es dies, führt das dazu, dass es sich in Deutschland nicht mehr gegen einen entsprechenden Anspruch wehren kann.
- Außerdem muss dass deutsche Unternehmen im Ausland alle rechtlichen Möglichkeiten (notwendige Anträge, Ein- und Widersprüche, Klagen durch alle vorgesehenen Instanzen) ausgeschöpft haben. Ist dies nicht der Fall, wird ein deutsches Gericht schon allein aus diesem Grund die Klage abweisen.
Eigentlich kann man deutschen Unternehmen in solchen Angelegenheit nur empfehlen, auf diese angemessen und schnell zu reagieren. Ansonsten drohen erhebliche Risiken. Und das gilt selbst dann, wenn die Forderungen ausländischer Behörden unbegründet sind.
Und noch etwas darf man nicht übersehen. Selbst, wenn das deutsche Finanzgericht im zweiten Rechtsgang entscheidet, dass Vollstreckungsmaßnahmen in Deutschland nicht durchgeführt werden dürfen, heißt das noch lange nicht, dass der Anspruch des italienischen Zollamtes aus der Welt ist. Und die Spedition wird doch auch in Zukunft LKWs in Italien fahren lassen …..
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