Nach jahrelanger Rechtsunsicherheit hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) am 18.09.2020 (siehe GZ III C 2 – S 78286-a/19/10001:001) sich abschließend dazu geäußert, ob und unter welchen Voraussetzungen ein rückwirkender Vorsteuerabzug möglich ist.

Nach vorherrschender Rechtsauffassung (siehe BFH-Urteil vom 08.10.2008, V R 59//07) musste der Leistungs- bzw. Rechnungsempfänger eine Rechnungskorrektur und eine damit verbundene Vorsteuerkorrektur durch den Rechnungsersteller vornehmen lassen. Dieses war in der Praxis häufig auf Grund von Insolvenz, Firmenauflösung oder Umzug in das Ausland nicht mehr möglich. Es war somit auch nicht möglich, auf vorliegende zusätzliche Dokumente zu verweisen, aus der sich ein abweichender Rechnungsbetrag bzw. Vorsteuerabzug ergab, wenn in der Hauptrechnung darauf nicht hingewiesen wurde.

Mit dem grundlegenden Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EUGH) vom 15.09.2016 (C-516/14   wurde entschieden, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nicht allein deshalb verweigert werden kann, weil die Rechnung, die der Steuerpflichtige besitzt, nicht alle formellen Voraussetzungen erfüllt, wobei das Vorliegen einer Rechnung mit Mindestangaben wie Rechnungsersteller, Leistungsempfänger, Leistungsbeschreibung, Entgelt sowie ausgewiesener Umsatzsteuer zwingend bleibt.  So kann eine fehlerhaft ausgewiesene oder fehlende Umsatzsteuer vom Rechnungsempfänger nicht eigenmächtig korrigiert werden Zudem wurde mit dem EUGH-Urteil (Rechtssache C-518/14) entschieden, dass sich die Berichtigung und das Recht auf einen berichtigten Vorsteuerabzug auf den Zeitpunkt der Ursprungsrechnung zu beziehen hat.

Mit dem EUGH-Urteil und der Klarstellung durch dem BMF vom 18.09.2020 wird dem Rechnungsempfänger das Recht zugebilligt, bei Vorlage geeigneter Dokumente wie z. B. Stundennachweise oder Nebenvereinbarungen auch ohne Verweis in der Hauptrechnung eine rückwirkende Rechnungskorrektur vorzunehmen, die zu einem geänderten Rechnungsentgelt mit der entsprechenden Auswirkung auf die Vorsteuer führen kann.

Zu beachten ist, dass entgegen der bisherigen Praxis des BFH schon in den Mehrwertsteuerrichtlinien der EU-Mitgliedsstaaten entsprechend Art. 219 MwSt.SystRL kein Verweisbezug auf das ergänzende Dokument in der Hauptrechnung gefordert wurde. Insoweit können sich betroffene Unternehmer bereits auf die geltende Regelung der Richtlinie beziehen um auch Fälle der Vergangenheit zu heilen.